Mittwoch, 28. Oktober 2009

Kneipentrilogie Teil I

Eine wirklich gute Kneipe erkennt man an ihren Stammgästen. Stammgäste, das sind im Fall meiner Lieblingskneipe, die gescheiterten Existenzen Mitte vierzig, die ihr trauriges Restleben Abend für Abend an der Theke im Halbdunkeln Schluck für Schluck aushauchen. Diese Sorte Mensch fachsimpelt über das Für und Wider ausschweifender Gitarrensoli in den Frühwerken Slayers, wie andere sich über Sozialpolitik austauschen.
Der Durchschnittsstammgast trägt hier sein wallendes, schütter werdendes Haar offen.

Die Körperstatur des Kunden ist im Laufe der Jahre eine optische Symbiose mit seiner Umgebung eingegangen: der unförmige Laib hat sich an die ergonomisch bedenklichen Thekenverhältnisse angepasst, so dass Rücken und Oberkörper gebeugt und starr geworden sind – ein Chiropraktiker hätte hier seine wahre Freude.

Diese Art der Sitzhaltung bildet die Voraussetzung für das Phänomen der Arschritzenparade. Dort wo ein verschwitztes Hellhammer-T-Shirt endet, und eine speckige Lederhose beginnt, kommt ein Streifen nackten, menschlichen Fleisches zum Vorschein, der dem Betrachter im Alltag aus Rücksichtnahme verborgen bleibt. Ein noch genauerer Blick bringt Dinge ans schummerige Kneipenlicht, die eigentlich kein Mensch sehen möchte: in den Untiefen der besagten Lederkluft verliert sich ein Spalt, der einem einen konkreten Eindruck davon vermittelt, wie wohl das Tor zur Hölle aussehen muss.

Selten nur hat man Gelegenheit in eines der Gesichter zu blicken. Meistens wendet sich der Stammgast seinem Dealer zu, der ihn je nach Gemütslage schweigend, oder Zoten reißend, mit Hochprozentigem versorgt. Löst er sich dann tatsächlich einmal aus seiner Starre und wendet den Blick in Richtung Restkundschaft, so wird man im Normalfall eines Antlitzes gewahr, das von der bösen Stiefmutter Natur mit einer guten Portion Sadismus geformt wurde. Tiefe auberginefarbene Schatten rahmen dort ein glanzloses Augenpaar.

Nur dann und wann huscht ein flüchtiges Lächeln über die ansonsten starren Züge, dann ist es als ginge die Sonne auf... um sogleich wieder in tiefen, auberginefarbenen Augenringen zu versinken.

Eine wirklich gute Kneipe erkennt man an ihren Stammgästen – meine Lieblingskneipe ist keine wirklich gute Kneipe.

Mittwoch, 21. Oktober 2009

Lesenswert: Gerhard Falkners Kranichsteiner Rede 2008

Unter der Überschrift und gleichsam rhetorischen Frage „Dienen die Kapitalmärkte dem Menschen, dienen die Buchmärkte der Literatur?“ überrascht Gerhard Falkner mit einem wuchtig intellektuellen und wunderbar polemischen Kommentar zum Zeitgeschehen (überraschend deshalb, weil es endlich mal wieder um etwas anderes geht als um internes Geplänkel in der Lyrikszene). Neben einer treffenden Auslassung zum Thema „Kapitalmarkt“ setzt sich Falkner mit der Bankrotterklärung des deutschen Buchmarktes auseinander. Der Vermarktbarkeit von (vornehmlich importierter) „Literaturimitation“ setzt er etwas anderes entgegen:

Der „höhere Sinn von Literatur“ ist aber nicht die Unterhaltung, obwohl kein Vernünftiger je Einwände erhebt, wenn die sich erfreulicherweise dazugesellt, die Aufgabe von Literatur ist es, an exemplarischen, narrativen oder imaginativen Erzähl- oder Dichtungsbeispielen den jeweiligen Stand von Sprache, Bewusstsein, Mitteilung oder Erzählung mit dem jeweiligen Stand der aktuellen Lebenskultur und den unaufhörlichen Neuerfindungen der gesellschaftlichen, kulturellen und interkulturellen Diskurse vorzuführen und abzugleichen, denn (auch wenn das viele schon wieder vergessen haben,) die Welt ist eine Erfindung der Sprache, und Sprache ist die Aufgabe von Literatur, mit anderen Worten, ohne Literatur stagniert Welt.

Quelle: http://www.poetenladen.de/gerhard-falkner-kranichsteiner-rede.htm

Montag, 19. Oktober 2009

Zum Zerberus

Zwischen den Beinen der Thai-Hure schnuppere ich den Duft nach Schokolade.
Die Süße verklebt mir die Nasenhaare. Nasse, schwarze Erde im Genusszustand.
Es ist Erinnerung an 750 Kilo essbare Masse, die gegossen wurde und gestapelt.
Es könnte das Mädchen sein, in das ich langsam ein und ausfahre. Aber nein.
Kopfrechnen ist keine meiner Stärken, doch es waren hunderte Schokolöwen in Habacht.

Das feste Fleisch lässt sich kneten. Ein Tropfen Schweiß fällt auf ihren Mund.
Alles muss schnell gehen, heute. Also sagt die Hure : “Komm, komm Schatzi.“
Was heißt Schatzi auf Thai, frage ich und verliere an Festigkeit. Ich bin ein Fluss.
Die Wassermassen fließen jetzt träge schon, dafür tief, und ich habe ein Ziel.
Die Hure soll auch kommen. Ich liebe sie ja. Das muss sie wissen. Daher hinein.

Eine Literaturwurst von Dieter Roth ist voll Schweinefett, Salz, Kümmel und Walser.
Das habe ich gesehen, nachdem ich die Schokolade gerochen habe, alte Schokolade.
Die roch so intensiv, war mehr grau als schwarz und auf sieben Stock regaliert.
Nach dem Museum gehe ich zu der Thai, immer, es ist der einzige Weg, der bleibt.
Denn alle Flüsse münden in mich. Das ist viel zu saufen. Nennt mich also Acheron.

Samstag, 17. Oktober 2009

on3-Lesereihe 2009 - 22. Oktober: Nürnberg, MUZclub, mit Anette, Carolin, Rebekka und den Türen

Eine "Auswärts"-Wortwerkerin und zwei "neue" Wortwerkerinnen aus Erlangen werden in diesem Jahr live auf der on3-Lesereihe "Raus hier!" lesen. On3 (hier der Link...) ist das Internetradio des Bayerischen Rundfunks. Unsere "Lokalmatadoren": Anette Lang (Wortwerkerin in Spanien und Berlin), Carolin Hensler und Rebekka Knoll (beide Wortwerk Erlangen).

Schon 2006 und 2008 war Wortwerk an der Lesereihe beteiligt (mit Thomas Suwito, Christian Schloyer, Eva Häusler und Manfred Schloyer). Letztes Jahr hat Eva sogar den (Publikums-)Preis geholt und die Lesereihe sozusagen gewonnen.

Musikalisch wird die Lesung diesmal von den Türen eingeheizt.

Die Veranstaltung ist am nächsten Donnerstag, den 22. Oktober. Ort: MUZclub in Gostenhof (Link und Adresse hier..., Beginn: 20 Uhr, Eintritt: frei!).

Witzig: On3 produzierte mit allen Teilnehmenden Portraitvideos im Stile der Bachmannpreis-Lesungen. Die kann man hier ansehen...